In der Schule lernte ich Begriffe wie Rassismus, Apartheid, Rassentrennung und doch war mir nie klar was genau sie bedeuten. Wie sie in der Realität wirken. Wie wichtig diese Begriffe tatsächlich sind. Wie viele Leben durch sie schon beeinflusst wurden und vor allem, wie wenig wir uns darum kümmern.
Darum gehts
Trevor Noah hat all dies hautnah miterlebt, als er 6 Jahre lang unter der Apartheid gelebt hat. Aber etwas so umfassendes wie Apartheid ändert sich bei weitem nicht so schnell, wie es offiziell „abgeschafft“ wird. In seinem Buch Farbenblind erzählt er seinen Werdegang in Südafrika in 18 Aufsätzen.
Meine Meinung
Ich habe für dieses Buch sehr lange gebraucht. Das lag an erster Stelle an der Ehrlichkeit der Texte, der Brutalität und Gewissenlosigkeit, die geschildert wurde. Des Weiteren ist der Aufbau nicht chronologisch gewesen, man ist als Leser ständig vor und und zurück gesprungen in Trevors Leben, was teilweise sehr verwirrend und anstrengend war. Diese vorerst willkürlich erscheinende Strukturierung hat am Ende dennoch ein Bild gegeben, einen Höhepunkt auf den man als Leser hingearbeitet hat und der zugegeben, ziemlich schockierend war. Die emotionale Anstrengung die entstand hat mich oftmals tagelang davon abgehalten weiter zu lesen. Trotz allem hat es mich tief beeindruckt.
Die Opfer des Holocaust zählen, weil Hitler sie zählte. […] Aber wenn man nachliest, welche Gräueltaten gegen Afrikaner verübt wurden, dann gibt es keine Zahlen, nur Schätzungen. – S. 227
Trotz der schwierigen und schlimmen Themen wurde das Buch immer mit Humor erzählt, so absurd und schlimm eine Aktion auch war, Trevor Noah hat sie fast lächerlich dargestellt. Sein Stil ist wahnsinnig locker gewesen, kumpelhaft. Die Umstände wurden ganz leicht erklärt. Das hatte zur Folge, das ich einige Male gegrinst habe, viel öfter aber innehalten musste, um die Botschaft hinter der witzigen Floskeln zu verarbeiten.
Die Geschichte Sowetos ist die Geschichte seiner Auffahrten. Ein Ort der Hoffnung. – S. 57
In dem Absatz, aus dem dieses Zitat stammt, beschreibt Noah die Geschichte des Townships Soweto, das ursprünglich als Gefängnis geplant gewesen war. In Townships basteln sich die Menschen ihre Häuser zusammen: Aus Pappe, Wellblech, später vielleicht mal Stein. Zuerst ein Zimmer, dann wird es erweitert, vielleicht kommt auch der Punkt im Leben der Familie, wo es zwei Zimmer gibt. Aber jeder hatte einen Grundbesitz, und wenn man hinter die Zeilen schaut, versteht man, dass all diese bettelarmen Menschen eine Auffahrt hatten, weil die Weißen eine Auffahrt hatten. Sie hofften immer, dass es besser werden würde.
Farbenblind ist für mich deswegen so beeindruckend gewesen, weil es den Gräueltaten, von denen ich immer nur ein Bruchstück gesehen habe, ein Gesicht gegeben hat. Wie so vieles hat auch die Apartheit viel mehr Unterpunkte als man sich als Unbetroffener vorstellen kann. Zwischen den Aufsätzen schildert Trevor Noah einige grundlegende Begebenheiten in Südafrika und wie verschlagen diese gegeneinander ausgespielt wurden. So hat Apartheid zum Beispiel dafür gesorgt, dass es nicht nur ein Trennung zwischen Weißen und Schwarzen gab, sondern auch zwischen den einzelnen Stämmen der Schwarzen. Man hat verhindert, dass die Schwarzen – die Mehrheit in Südafrika – sich zusammenschließen konnten. Durch etwas so simples wie Sprache. Es gab eine offizielle Amtssprache – Englisch. All die Dialekte und anderen afrikanischen Sprachen der Ureinwohner wurden als „nicht wichtig“ genug befunden, obwohl die Sprechenden das natürlich anders sahen. So lernte kaum jemand die Stammessprache des anderen und man konnte sich nicht verständigen. Anhand seiner Hautfarbe hat Trevor Noah schon optisch nicht in das System gepasst, da hat er sich zumindest die Sprache zunutze gemacht und jegliche Dialekte gelernt, mit denen er zu tun hatte.
Ich wurde zum Chamäleon. Meine Farbe änderte sich nicht, aber ich konnte die Farbwahrnehmung der anderen verändern. […] Ich sah vielleicht nicht aus wie mein Gegenüber, aber wenn ich wie der andere sprach, war ich wie der andere. – S. 73
Das alles ist nur ein Bruchteil dessen, was ich aus diesem Buch mitgenommen habe. Einen Aufsatz mit dem Titel „Go, Hitler!“ hat es mir besonders angetan. Allein schon die Überschrift lässt einen skeptisch werden, aber letztendlich beruht das nur auf Missverständnissen. Die weißen Eroberer konnten natürlich die Namen der Eingeborenen nicht aussprechen und anstatt, dass sie die Sprache lernen, haben sie die Schwarzen verleitet ihren Kindern einen weißen Namen zu geben. Schwarze haben also drei Namen: einen weißen Vornamen, einen Vornamen in der Stammessprache und einen Nachnamen. Das Prinzip mit dem der weiße Vorname ausgesucht wurde, war einfach: Zufall. Aus der Bibel, nach Politikern oder Filmstars der Weißen. Und wenn die Weißen den Namen zufällig einem wichtig und machtvoll aussehendem Typen gegeben haben, dann taten die Schwarzen das auch, denn sie wollten auch machtvoll wirken. So endete ein junger Schwarzer mit dem Vornamen Hitler. Dieser junge Mann war der beste Tänzer seines Townships und zusammen mit Trevor Noah hatte sich damals eine Tanzgruppe gebildet, die auf Partys auflegte, um Stimmung zu machen. Ihr Erfolg wurde so groß, dass sie für den Kulturtag einer jüdischen Schule gebucht wurden. Und das Ende ihres Auftrittes war ein Tanzsolo von Hitler, das sie lautstark mit dem Spruch „Go, Hitler“ anfeuerten. Trevor und seine Freunde hatten keine Ahnung was Antisemitismus und Holocaust bedeuteten.
Durch dieses Buch habe ich wahnsinnig viel gelernt, mir wurden die Augen geöffnet und das auf eine so natürliche Weise, dass ich es zuerst gar nicht gemerkt habe. Trevor Noah schmeißt nicht mit Fachbegriffen um sich, er kleidet das schwierige Thema Rassismus & Apartheid in ein simples Flanellhemd. Er macht es vertraut und greifbar, packt die Probleme in den Alltag.
Autor: Trevor Noah • Titel: Farbenblind • Verlag: Blessing • Seiten: 355 • Format: Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, eBook • Preis: 19,99€ (GB); 15,99€ (ePub) • Erscheinungstermin: 06. März 2018 • Neugierig? Amazon ¦ Thalia
Vielen Dank an den Verlag für die Breitstellung dieses Rezensionsexemplares.
Steffi meint
WOW, wie krass. Danke dir für deine Rezension!
Mich interessieren die Geschichten von anderen Menschen sehr. Gerade wenn derjenige viel zu sagen hat. Wichtiges zu sagen hat.
Das Buch landet direkt auf meiner Wunschliste!
Einen schönen Sonntag-Abend wünsche ich. 🙂
Friederike meint
Heyy!
Krass beschreibt es ziemlich gut. Ich muss auch unbedingt viel mehr solcher Bücher lesen, Farbenblind hat mir vor Augen geführt, wie wenig ich tatsächlich über die Welt weiß und das gehört – zumindest für mich – ausgebessert.
Ich wünsche dir ein paar tolle Lesestunden mit dem Buch und ebenfalls einen schönen Sonntagabend, vielen Dank für deinen tollen Kommentar.
Alles Liebe,
Friederike.
Jacquy meint
Es ist oft wirklich ein großer Unterschied, ob man nun nüchtern betrachtet weiß, wie die Situation ausgesehen hat, oder ob man sie von einem Betroffenen erzählt bekommt. Das kann oft wirklich krass sein. Deshalb finde ich es auch gut, dass der Schreibstil wohl eher humorvoll gewählt ist, weil man es als Leser so vielleicht besser verarbeiten kann. Trotzdem glaube ich gern, dass das Buch sehr aufwühlend war. Bei mir steht es noch fest auf dem Plan.
Friederike meint
Hallo Jacquy!
Der Schreibstil macht es wirklich einfach das Buch zu lesen, nur sobald man mal die witzigen Worte durchschaut hat wird es schwerer, zumindest war es bei mir so. Dennoch möchte ich dieses Buch nicht mehr missen, es ist so wichtig und relevant. Ich wünsche dir ganz viel Freude beim lesen!
Alles Liebe,
Friederike.
Isabell meint
Hey 🙂
Das Buch habe ich momentan zuhause liegen, weil ich es endlich in der Bücherhalle gefunden habe und dank deiner Rezension weiß ich, dass ich es definitiv lesen muss, bevor ich es wieder zurück bringen muss.
Deine Rezension ist wirklich sehr gut gelungen und macht einem das Buch sehr schmackhaft. Ich bin schon gespannt, was ich von dem Buch so alles mitnehmen kann.
Liebe Grüße
Isabell
Friederike meint
Hallo!
Ich freue mich über jeden, der dieses Buch in die Hand nimmt, ob nun durch meinen Beitrag oder ohne. Es ist auf jeden Fall eines der wichtigsten Bücher, dass ich dieses Jahr gelesen habe und allein die Kommentare zu sehen und zu wissen, dass ich ein paar mehr Menschen dazu gebracht habe, dieses Buch aufzuschlagen ist so wunderbar. Außerdem kommen meine ganzen Gefühle zu dem Buch wieder hoch und sie haben sich kein Stück verändert.
Ich hoffe sehr, dass es dir gefällt und genauso hilfreich ist, wie für mich.
Alles Liebe,
Friederike.
Isabel meint
Tolle Rezension! Habe Deinen Blog gerade erst übers #Litnetzwerk entdeckt, sehr schön:)
Schaue ich gerne öfter mal vorbei.
Liebe Grüße
Isabel
Friederike meint
Oh, Hallo!
Das freut mich aber sehr. 😀 Ich muss auch unbedingt noch ein bisschen stöbern gehen, die Teilnehmerliste sieht ja schon sehr vielversprechend aus.
Alles Liebe,
Friederike.
Katharina meint
Mir ist das Buch zwar schon ein paar Mal über den Weg gelaufen, allerdings hat mich das Cover bisher irgendwie nicht so angesprochen und ich konnte mit dem Titel nichts anfangen, sodass ich immer daran vorbeigegangen bin oder einfach weiter geklickt habe. Da ich das Buch aber jetzt sowohl bei dir, als auch bei Isabella gesehen habe und ihr beide ziemlich begeistert seid ist es gleich mal auf die Wunschliste gelandet, denn das Thema klingt doch echt interessant und ist einfach so wichtig. Besonders interessant klingt finde ich bisher, dass das Buch zwar ein ernstes Thema hat, aber auch humorvoll ist, was definitiv ein Kaufgrund für mich wäre, denn neben Unisachen muss man sich manchmal finde ich einfach keine so richtig schwere Kost antun 😀
Tolle Rezension auf jeden Fall, die mich auf jeden Fall überzeugt hat demnächst mal in der Buchhandlung nach dem Buch Ausschau zu halten 🙂
Friederike (Buch & Gewitter) meint
Da freue ich mich, wenn ich (und Isabella natürlich) dich begeistern konnte. Ich denke, viele unterschätzen, was dieses Buch einem alles zeigen kann. Ich meine, wir haben von Apartheid gehört und gehen automatisch davon aus, es zu verstehen. Aber etwas verstehen und etwas erleben ist eben ein rieseiger Unterschied und dieses Buch versetzt den Leser in Trevors Leben und das ist eine sehr krasse Reise. Allerdings würde ich schon sagen, dass das Buch schwere Kost ist, zwar meistens mit einem Augenzwinkern, aber definitiv schockierend. Gleichzeitig kann es aber auch sehr motivierend sein. Und ich habe meine ganzen Gedanken dazu wohl immer noch nicht ausformuliert, wenn ich dir hier wieder einen halben Roman hinklatschen kann, Sorry.
Wenn du es liest, würde ich mich jedenfalls sehr freuen zu hören, was du dazu sagst.
Alles Liebe, Frizzi.
Isabella (Noch mehr Bücher) meint
Deine Rezension ist unglaublich gut geworden – besser kann man das Buch eigentlich gar nicht beschreiben. Ich habe es heute morgen beendet und habe gerade beim letzten Aufsatz echt schlucken müssen ? Ich bin einfach unglaublich beeindruckt, wie Noah es in diesen dreihundert Seiten schafft, gleichzeitig Unterhaltung und umfassende Informationen über die Epoche zu liefern – aus einer Perspektive, die kein Geschichtsbuch, vermutlich in Deutschland auch sonst kein Lehrer liefern würde. Das Buch ist wirklich so, so grandios <3
Friederike meint
Vielen lieben Dank, ich habe so oft umformuliert, Passagen gestrichen und hatte vorher das Gefühl einen riesigen Kuddelmuddel an Information zu veröffentlichen. Es freut mich, wenn es dir zusagt. Dieser letzte Aufsatz war furchtbar, ich habe nicht geglaubt, was ich da gelesen habe. Das Buch ist so wichtig, ich wünschte sowas hätte ich in der Oberstufe gelesen, das finde ich sehr viel wichtiger als Faust und Maria Stuart. ? Ich bin schon gespannt, was du schlussendlich zu dem Buch sagst. LG und Danke für deinen Kommentar.