Dschungel hat mich als erstes durch sein knalliges Cover angesprochen. Ich fand, dass die dunkle, blaue Farbe sehr schön mit dem leuchtenden Pink harmonierte und im Regal ein echter Hingucker sein würde. Die Inhaltsangabe fand ich ebenfalls spannend, man liest heutzutage doch wirklich wenige Bücher über Freundschaften. Ich habe es als Rezensionsexemplar für das Rezensöhnchen bekommen, muss aber erst einmal auf dem Blog alle Gedanken raus lassen, ehe ich für die Unizeitschrift formulieren kann.
Darum gehts
Felix ist im Dschungel von Kambodscha verschwunden. Sein bester Freund wird ihm hinterher geschickt, um ihn zu finden, kennt er ihn doch am besten und weiß vielleicht eher, was für Entscheidungen sein Freund vor Ort treffen würde. Ein Reise durch Kambodscha und die Freundschaft der beiden Männer beginnt, die mehr über sie enthüllt, als gut scheint.
Meine Meinung
Ich bin kein Fan von diesem Buch. Das begann bereits mit dem Anfang, der sich sehr gezogen hat. Es mag clever erscheinen, abwechselnd von der Freundschaft und der Suche in Kambodscha zu erzählen, tatsächlich hat es mich beim lesen nur aufgehalten. Das ständige hin und her, das vor und zurück in der Erzählung war ermüdend und es dauerte bis zur Hälfte des Buches, bis ich ein gutes Bild von den Charakteren hatte. Dazu kam der Schreibstil, der detailliert, aber stumpf und unnahbar war. Der Protagonist, der keinen Namen hat, aber der beste Freund von Felix ist, hält sich mit seinen Gedanken sehr zurück, er denkt selten über seine Situation nach oder über die Freundschaft, die der Ausgangspunkt des Buches ist. Er erzählt viel über die Menschen, denen er begegnet und ihre Einstellungen, streut viele Fakten über Kambodscha und die Khmer ein. Regelmäßig irritiert hat mich der verwirrende Mix aus Englisch und Deutsch, der die Dialoge prägte. Es war nie klar ersichtlich ob sich nun auf Deutsch oder Englisch unterhalten wird, weil mitten im Gespräch oder zum Ende eines vornehmlich deutschen Gesprächs plötzlich eine englische Floskel vorkam. Der Leser konnte raten, ob nun Deutsch oder Englisch gesprochen wurde.
Mach was immer du willst. Frag nicht um Erlaubnis. Schau nicht zurück. Sei der allmächtige Gott deiner kleinen Welt. (…) Das, mein Freund, ist Reisen.“
S. 168
Die Freundschaft, die hier gezeigt wird, ist toxisch bis ins Mark. Das beginnt schon von klein an, als Felix und der Protagonist sich in der Schule kennen lernen. Es folgen Abschnitte aus ihrem Leben und dem Erwachsen werden, die alle schlechten Entscheidungen enthalten, die ein junger Mensch heute treffen kann. Alkoholmissbrauch, Diebstahl, Lügen. Der Protagonist sieht sich als manipuliert und gedrängt, Felix hat sein Leben komplett in der Hand. Er ist abhängig von Felix, der das offenbar schamlos ausnutzt. Der Protagonist ist zeitweise hin- und hergerissen zwischen Hass und Anbetung Felix gegenüber, aber wann immer Felix ihm ein winziges bisschen Respekt entgegen bringt, vergisst er all die miesen Momente und lässt sich weiter ausnutzen.
Die Angst, nicht zu genügen, auf der Bühne seines Bewusstseins keine Rolle zu spielen, oder eine schlechte, langweilige. Und die Hoffnung auf die seltenen Momente, in denen ich für ihn glänzte.
S. 365
Der Protagonist stellt sich als unzuverlässiger Erzähler heraus, allerdings merkt man davon nichts, bis ein anderer Charakter ihm das an den Kopf klatsch. Die Vorarbeit, die für eine glaubhafte Unzuverlässigkeit nötig gewesen wäre, eine Gegendarstellung der Ereignisse beispielsweise, oder Ungereimtheiten über einen Tathergang, existiert nicht und so wirkt es nur wie ein weiterer lahmer Versuch, den Protagonisten in eine Opferrolle zu drängen. Auch die anderen Beziehungen zu Eltern, Freunden und Lebensgefährten sind in irgendeiner Art toxisch, es gab genau eine Beziehung die irgendwo annähernd gesund sein könnte, die dann aber aus männlichem Selbstmitleid beendet wird.
Es war nicht das erste Mal, dass wir etwas Härteres als Haschisch nahmen. Aber das erste Mal, dass wir es nun zu zweit taten, bewusst, ohne Musik oder Mädchen. Felix hatte darauf gedrängt. Als wüsste er, dass wir sonst niemals darüber reden würden. Wahrheitsmodus, nannte er das.
S. 229
Ich habe nach dem Beenden ein wenig im Internet herum gesucht, weil ich mir keinen Sinn aus diesem Buch erschließen konnte. In einem Interview sagt der Autor, dass er seiner Generation gerne einen Spiegel vorhalten will, ihre Untätigkeit kritisieren. Das hat er getan, aber es ist nichts Neues und passiert auch eher von oben herab. Eine ganze Generation über einen Kamm zu scheren und ihnen zu sagen, dass sie Schieße bauen, aber keine umsetzbaren Lösungen anzubieten, bringt niemanden weiter. Das einzige, das ich in diesem Buch gelernt habe, ist die Geschichte Kambodschas, aber den Rest kennt man schon. Umweltprobleme, wirtschaftliche Probleme, Ignoranz. Die Charaktere im Buch lernen nichts, ergo lernt auch der Leser wenig bis nichts. Die Charaktere bleiben in ihrer kleinen Blase gefangen und den Ausweg, den sie wählen, kann ich beim besten Willen nicht akzeptieren.
Was im Kopf hängen bleibt, sind nicht die angestrebten Gedanken über Konsumverhalten und zerstörerischen Tourismus, sondern die Drogenkäufe, die Rücksichtslosigkeit, mit der die Einheimischen behandelt werden, der Sexismus, der Drogenkonsum und die entsprechend risikofreundlichen Entscheidungen, die darunter getroffen werden. Hängen bleibt das Bild der toxischen, respektlosen, weißen Jugend, denen die Welt durch ihr Privileg zu Füßen liegt und die diese ignorieren. Sowohl der Protagonist, als auch Felix, sind ein Abbild der privilegierten Weißen, die selbstbezogen und selbstmitleidig durch die Weltgeschichte gehen. Ich habe lange nicht mehr eine solch inbrünstige Abscheu für Charaktere gefühlt.
Fazit
Von der Aussage des Buches bin ich wahnsinnig enttäuscht, das mögliche Potential, dass die Handlung hatte, wird über Bord geworfen. Es wird nicht erklärt, wie man Trauma überwindet, wie man toxische Beziehungen erkennt und beendet. Eine schwache Alternative wird gezeigt, die selbstbezogen und egoistisch ist, die keine Probleme löst, sondern die Inkarnation dessen ist, was dieses Buch sowieso schon darstellt. Weiße Ignoranz.
Dschungel
Verlag: Ullstein ・ Seiten: 380・Format: Gebunden mit Schutzumschlag, eBook ・ Preis: 22,00€ (GB); 18,99€ (ePub) ・ Erscheinungstermin: 02. Mai 2019 ・ Link zur Verlagsseite
*Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.
Isabella meint
Danke für die Rezension! Bei der Anekdote bezüglich des unzuverlässigen Erzählens musste ich fast auflachen. Ganz schön seltsam, dem Protagonisten so eine Eigenschaft zuschreiben zu müssen, weil sie ansonsten nicht durchgeführt wurde – dabei kann ich mir vorstellen, dass es bei diesem Buch besonders reizvoll gewesen wäre, einen unzuverlässigen Erzähler zu haben, gerade, weil dadurch seine Opferrolle ggf. hinterfragt werden würde.
Ansonsten kann ich deinen Frust gut nachvollziehen. Die Thematisierung von toxischen Beziehungen und anderen Problematiken ist ungemein wichtig, nützt aber nichts, wenn man in der Behandlung nicht das nötige Fingerspitzengefühl aufweist und einfach nur Problematisches reproduziert. Die Geschichte klingt, als würde sie sich gut dazu eignen, toxische Maskulinität zu untersuchen, scheint aber in der Umsetzung daran gescheitert zu sein. Wirklich schade :/ Dafür ist dir die Rezension umso besser gelungen, und jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass ich auf dieses Buch keine Zeit verwenden brauche …
Friederike meint
Danke für deinen schönen Kommentar, du hast meine wesentlichen Punkte so schön zusammen gefasst, dass ich mir weniger wie eine wütende Leserin vorkomme.
Obwohl ich nicht das Bedürfnis habe mehr von dem Autor zu lesen, wäre zumindest in Hinsicht auf den unzuverlässigen Erzähler einige Kapitel aus der Sicht der anderen Figuren interessant. Ein bisschen ärgert es mich auch, dass ich mich mit den Worten dieser einen unzuverlässigen Person zufrieden geben muss, es würde nochmal ein ganz anderes Bild von der toxischen Beziehung entstehen, wenn es eine Gegenspiegelung geben würde.
Ich hoffe, du liest bessere Bücher als ich und wünsche dir einen schönen Tag.
Alles Liebe
Friederike
Raphael Goldmann meint
Die Danksagung an den Verlag zur Bereitstellung des Rezensionsexemplars wirkt im Lichte dieser fast schon reißerischen Rezension ziemlich sarkastisch, obwohl ich finde, dass du dich noch zurückgehalten hast, was die Kritik angeht. Ich hätte gerne einige spezifische Ausschnitte aus dem Buch gesehen, wie Beispiele zu den merkwürdigen Dialogen, von denen du schreibst, um mir selbst ein besseres Bild davon machen zu können. Ansonsten aber eine durchaus deutliche Rezension. Gäbe es denn Menschen, denen du ein solches Buch empfehlen würdest? Oder ist es zu schlecht für jeden Leser?
Friederike meint
Die Anmerkung an den Verlag muss machen. Sonst ist nicht klar ersichtlich, dass es ein Rezensionsexemplar ist. Ich gucke gerade nach den Dialogen, aber diese zu zitieren ist schwierig, weil man nicht mehr als fünf Sätze zitieren darf. Und die Rezension soll Spoilerfrei bleiben, deswegen ist es schwer über Handlungspunkte zu sprechen. Empfehlen würde ich es niemandem. Also niemandem, der Freude an einem Buch haben will, der einen neue Perspektive kennenlernen will. Ich weiß echt nicht, wer ein so toxisches Buch lesen wollen würde.