Ugh, ich weiß nicht, warum ich bei Lesejury-Büchern immer so viel Pech habe. Man sollte meinen, dass ich nach einigen Jahren des Lesens gelernt habe, dass Leseproben nicht zwingend den Charakter eines Buches spiegeln können, sondern nur einen Vorgeschmack geben können. Ich habe im Januar mich also für dieses Buch beworben, mit der Aussicht auf einen spannenden New Adult Roman, der ein paar interessante Themen behandelt. Schön wäre es gewesen.
Darum gehts
Als Sawyer und Finn im Sumpf Floridas aufeinander treffen, begegnen sich zwei Menschen, die nicht wissen, wie sie ihr Leben leben sollen. Sawyer ist dem missbräuchlichen Haushalt ihres fundamentalistischen Vaters entkommen und steht das erste Mal auf eigenen Beinen, Finn trauert noch immer um seine verlorene Jugendliebe. Dass er niemanden an sich heran lässt, wird durch Sawyers Ankunft auf die Probe gestellt, als sie das Land neben seinem beziehen will. Denn Sawyer hat vor ihre Freiheit, ihr Leben auszukosten und lässt sich von einem wortkragen Einsiedlder nicht abschrecken.
Meine Meinung
Was mich ursprünglich zu diesem Buch zog, war das Versprechen auf einen spannenden Konflikt: Sawyer ist in einer Fundamentalisten-Gemeinde aufgewachsen, was ich nur mit einer Sekte vergleichen kann. Das Nötigste zu Leben, viel Beten und Frauen in einer zurückgestellten, unterwürfigen Position. Dass sie sich daraus befreien will, fand ich spannend. Wie legt man jahrelang eingetrichtertes Verhalten ab, wie kommt man mit diesen entrückten Vorstellungen in einer normalen Gesellschaft zurecht? Dann begegnet sie Finn, der viel trinkt, wenig redet und groß und einschüchternd ist. Der Konflikt scheint klar: Finn erinnert stark an Sawyer Vater, kann sich da trotzdem eine Liebesgeschichte entwickeln?
Darauf hatte ich gehofft, das schien die Richtung zu sein, in die das Buch gehen würde. Aber ich lag so falsch.
Sawyer ist eine starke junge Frau, die erstaunlich stabil ist, dafür, dass sie 21 Jahre in einem missbräuchlichen Haushalt gelebt hat. Nach dem Suizid ihrer Mutter findet sie einen Brief und einen Vermerk zu einem Einlagerungskontainer, der ihr die Möglichkeit bietet abzuhauen. Das tut sie auch und landet in Outskirts, einem Ort, der so von wirtschaftlichem Unglück heimgesucht wurde, dass man sich fragt, wie man da noch leben kann. Sawyer weiß, was sie will – Alles – und fügt sich erstaunlich leicht in das normale Leben ein. In den ersten 100 Seiten erhält sie bereits ein Make-Over und scheint sich in knappen Shorts, Shirts mit Ausschnitt und Stiefeln wohler zu fühlen, als man es von jemandem, der jahrelang verhüllt leben musste, erwarten würde. Der tiefe Konflikt, auf den ich so gehofft hatte, bleibt aus. Sawyer hat gar kein Problem mit nackten Körpern, Begehren oder normaler Zivilisation. Wenn sie was nicht weiß, fragt sie nach und fertig ist. Keine Reflexion, kein Überdenken, kein Infragestellen. Ich mochte sie sehr gerne, sie ist eine offene, lustige Figur, die mit Bestimmtheit ihr Leben zum Guten wenden will. Aber es fehlte die Tiefe. Nach der Vergangenheit erwartete ich mehr und war äußert enttäuscht, als es sich nur als lahme Ausrede entpuppte, damit Sawyer mit dem ersten Mann, den sie sieht, ihr sexuelles Erwachen hat.
Kommen wir zu Finn. Es gibt kein schlimmeres Beispiel eines Alphamännchens, das notgeil und besitzergreifend ist. Seit er Swayer zum ersten Mal gesehen hat, steht für ihn fest, dass er sie ins Bett kriegen will. Okay, kommt vor. Aber was nicht vorkommen sollte, ist das:
Ich musste dem überwältigenden Verlangen widerstehen, Anspruch auf sie zu erheben. Sie zu markieren.
S. 136
Finn denkt, es ist eine gute Idee eine Angst vor Gewitter mit Oralsex zu kurieren. Finn findet es okay, seinen Freunden beim Sex zuzusehen, ohne, dass sie das wissen. Finn MUSS Sawyer beschützen, egal was Sawyer dazu sagt. Finn hält nichts von Verhütung. Finn erpresst mit Sex. Finn ist ein Neandertaler. Die Menge an Ausrufezeichen, die ich in diesem Buch hinterlassen habe, weil er widerholt Sawyers „Nein“ ignoriert, ist schlimm. In einer Szene verlangt sie allein elf Mal, dass er aufhört. Tut er es? Nö, denn Finn sieht ja, dass Sawyer ihn insgeheim will. Den Vogel abgeschossen hat er aber mit dieser Aussage:
„Es ist deine Schuld, wenn ich das tue.“
S. 143
Oder dieser:
„Ich werde dich küssen, wann immer ich will“, stellte Finn fest, als hätte ich dabei keinerlei Mitspracherecht.
S. 144
Ich hätte mein Buch am liebsten zerrissen, so sauer hat mich gemacht, was ich da gelesen habe. Sawyer ist etwas blauäugig, glaubt an das Gute im Menschen und Finn nutzt das aus. (Andere aber übrigens auch.) Sie nimmt hin, wie er sie behandelt, hinterfragt nichts, pocht nicht auf ihr Rechtvon Selbstbestimmung. Nein, sie lächelt lieb, sagt ihm neckend, dass sie kein Ding ist, das man besitzen kann und nimmt seine lahmen Ausflüchte dann hin. Ich konnte auch keine nennenswerte Chemie zwischen den beiden feststellen, weil sie keine wirklich Beziehung haben, außer ihrer sexuellen. Ich habe lange kein so flaches Buch mehr gelesen und bin entsetzt, dass eine Frau so etwas verachtendes schreiben kann. Es ist, als wenn alles, wofür Frauen in den letzten Jahren gekämpft und aufbegehrt haben, mit diesem Buch wieder zunichte gemacht wird. Es ist ein Tritt ins Gesicht für Gleichberechtigung und Entscheidungsfreiheit. (Okay, das sind meine Gefühle mit mir durchgegangen und ich bin etwas dramatisch geworden. Aber ich habe so dennoch empfunden und mag das nicht unter den Teppich kehren.)
Sosehr ich Finn auch verabscheue, gibt es doch ein paar gute Aspekte in Wild Hearts. Die Autorin hat einen schönen Schreibstil, er ist ausreichend malerisch und flüssig, es gibt das ein oder andere schöne Zitat und Botschaft. Und Hauptfigur Sawyer ist auch sympathisch, wenn sie auch, wie alle anderen Figuren, flach bleibt.
„Läufst du vor irgendetwas davon, Sawyer Dixon?“
Ich zögerte einen Augenblick. „Ich sehe es lieber so, dass ich auf etwas zu laufe.“
S. 78
Ich sollte noch erwähnen, dass dieses Buch zu einer Dilogie gehört, es endet auf eine fiese Art. Aus meiner Rezension sollte hervorgegangen sein, dass man dieses Buch nicht mit feministischen Augen lesen darf, aber ich kann das nicht mehr abschalten und will es auch gar nicht. Ich möchte nicht für ein Buch meine Moral und Vorstellung von Richtig oder Falsch über Bord werfen. Dass sie in Frage gestellt werden ist okay, von einem Buch zum Nachdenken angeregt werden mag ich gerne. Aber blind die Augen verschließen und etwas hinnehmen? Nein.
Wild Hearts: Kein Blick zurück hat seine Höhe- und Tiefpunkte und hat mir auf persönlicher Ebene nicht gefallen, Schreibstil und Ausführung waren aber gut. Dennoch würde ich es niemandem empfehlen.
übersetzt von: Anja Mehrmann Verlag: LYX Seiten: 303 Format: Taschenbuch mit Klappenbroschur, eBook Preis: 12,90 (TB); 4,99 (ePub) Erscheinungstermin: 29. März 2019 Neugierig?
Vielen Dank an den Verlag und die Lesejury für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
[…] Das war so ziemlich das genaue Gegenteil zu Femme Normale und ein Beispiel, wie es niemals laufen soll. Egal wie heiß jemand ist. Meine etwas leidenschaftliche Rezension ist auch schon online. […]