Dieses Buch stand bei vielen Blogger:innen und Leser:innen auf der Want-to-Read-Liste dieses Jahr und als ich im Oktober die Bewerbung für das Hörbuch auf der Bloggerjury sah, wusste ich, dass ich das Buch hören wollte. Linus spricht das Buch nämlich selbst und ich höre sowas immer sehr gerne. Das bringt nochmal eine ganz persönliche Note mit ein und die ist mir besonders wichtig.
Zum Inhalt
In diesem Buch nimmt Linus die Leser:innen/Hörer:innen mit auf seine Reise zum trans Mann. In verschiedenen Aspekten wird diese Transition betrachtet, Linus erzählt sehr intim von seinen Erfahrungen und Erkenntnissen. Ob es sich nun um bürokratischen Details handelt, den gesellschaftlichen Diskurs oder die Erfahrungen in der Online-Community von Twitter, Linus gibt Einblick in die Hochs und Tiefs.
Disclaimer
Ich kann dieses Hörbuch nicht wie jedes andere Buch behandeln, dass ich konsumiert habe, da Linus Geschichte real ist und ich es mir nicht anmaße darüber zu urteilen, wie bei einer fiktionalen Geschichte. Ich habe in meinem Leben bisher kaum Kontakt zu trans Menschen gehabt, verfolge zwar ein paar Instagramkanäle, aber das ist immer nur ein kleiner Einblick. Was völlig okay ist, nebenbei bemerkt. Ich will nur verdeutlichen, dass ich ein arg begrenztes Wissen zu dem Thema habe und als Unbetroffene mich damit auseinander setze.
Wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich gar nicht, wie ich dieses Hörbuch in Worte fassen soll. Es ist wahnsinnig dicht an Themen und Aspekten, Zwischentönen und Nuancen. Ich habe so viel gelernt, dass ich da noch lange drüber nachdenken werde und mir bestimmt die ein oder andere Realisation noch bevor stehen wird. Es ist komplex und das auf eine Weise, die ich gar nicht in Worte fassen kann. Eigentlich kann ich nur ausdrücken: Lest es, bitte. Oder hört es. Lasst es euch vorlesen, besprecht es in einem Lesekreis oder Buchclub, redet mit anderen Menschen darüber. Für mich ist es eines der wichtigsten Bücher, das ich in 2020 lesen durfte.
Weil das aber eine sehr kurze Rezension wäre, gibt es hier noch ein paar Gedanken zu einzelnen Themenbereichen des Buches.
Genderrollen aufbrechen
Im Laufe der Wochen, wo mich dieses Hörbuch durch mein Leben begleitete, habe ich wahnsinnig viel gelernt. Und zwar nicht nur über die Realität als trans Mann, sondern auch über Sexualität, Bürokratie und echte Freundschaft. In fast 40 Kapiteln deckt Linus jedes mir erdenkliche Thema ab und gibt einen guten Einstieg in den Diskurs und zeigt Lebensrealität auf. Besonders beeindruckt hat mich dabei, wie ehrlich er in Bezug auf die emotionale Reise war – etwas sehr Persönliches hat er für die Welt in Worte gefasst und niemals unter den Tisch fallen lassen, was seine Transition oder die Reaktionen anderer mit ihm machten. Das anhaltende Schwarz-Weiß-Denken unserer Gesellschaft hält uns immer noch davon ab, Geschlechterrollen aufzuspalten und queeren, gender-nonconforming und trans Menschen einen Platz zu bieten. Was – wie Linus auch immer wieder bespricht – auch seine Reise erschwert hat. Zweifel, der Wunsch dazu zu gehören, als das Geschlecht gelesen zu werden, als das man sich fühlt, ganz ohne das Herumeiern, sobald es intimer wird. Denn etwas so scheinbar simples wie Toiletten und Umkleideräume können für eine queere Person zu einem Problem werden und unangenehme Situationen herbeiführen. (Deswegen – geschlechtsneutrale Toiletten und Umkleideräume, bitte.) Als Linus von seiner Kindheit sprach und wie gerne er die Kleidung seines großen Bruders trug, konnte ich mitfühlen. Als es darum ging, wie fremd er sich seinem Körper in der Pubertät fühlte, konnte ich mitfühlen. Einer der größten Gewinne dieses Buches war für mich, wie sehr Linus mich mit seinen Beispielen und seiner Offenheit mitfühlen lassen konnte. Dass diese emotionale Verbindung meinerseits geklappt hat, hätte ich niemals erwartet. Aber das macht dieses Buch, diese Geschichte, unter anderem Besonders. Linus kann mit einfachen Worten und Beispielen komplexe Themen einem nahebringen.
Digitale Gewalt
Einige Kapitel haben sich in meinem Kopf besonders festgesetzt und sie haben fast alle etwas mit digitaler Gewalt zu tun. Linus geht sehr offen damit um, dass er Hass auf Social Media erfahren hat, der ihm dann buchstäblich bis nach Haus und auf die Arbeit gefolgt ist. Linus wurde gestalked und belästigt – Zuhause, an seinem Arbeitsplatz, im Internet. Und bis heute gibt es kein sicheres Verfahren wie damit strafrechtlich umgegangen wird. Von den emotionalen Folgen mal ganz abgesehen. Obwohl mir diese Seite von Social Media und wie weit es gehen kann, irgendwo bewusst ist, „kenne“ ich niemanden, dem das schon passiert ist. Von Linus im Details so viel darüber zu erfahren, war heftig. Aber Fakt ist einfach, dass, wenn man es nicht selbst erlebt hat, man sich die Ausmaße von Hass – ob nun online oder offline – nicht ausmalen kann und zu hören, was Linus alles erleben musste, hat mich stark mitgenommen. Seine Geschichte ist real und nicht fiktional und gerade das hat es in vielen Momenten noch erschreckender gemacht.
Fazit
Ich bin Linus hat mich in diesem Jahr bereichert, mir Einblick in Dinge gegeben, nach denen ich mich nie getraut hätte zu fragen und unendlich viel Wissen in meinem Kopf katapultiert. Linus seine Geschichte selbst erzählen zu hören, war fantastisch und ich bewundere ihn als Mensch für seinen Mut, das alles der Welt mitzuteilen. Es ist ein Buch, das viel verändern kann und trans Menschen, gender-nonconforming und queeren Menschen Türen und Herzen öffnet.
Ich bin Linus: Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war
Autor: Linus Giese • Verlag: Lübbe Audio • Sprecher: Linus Giese • Zeit: 371 Minuten • Format: Hörbuch (Download) Preis: 9,99€ • Erscheinungstermin: 16. Oktober 2020 • Link zur Verlagsseite
*Vielen Dank an den Verlag und die Bloggerjury für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
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