Als ich Anfang des Jahres „Gespräche mit Freunden“ gelesen habe, hatte ich weniger Glück mit dem Buch. Sally Rooney wurde allerdings von vielen Seiten so hoch gelobt, dass ich es nochmal versuchen wollte und mich an die Übersetzung getraut habe. Unterschätzt niemals die Wirkungskraft von positiven Meinungen von Freunden!
Zum Inhalt
Connell und Marianne beginnen bereits in der Schule ihre komplizierte Beziehung, die sich über die Jahre an der Uni entwickelt und verändert. Irgendwo zwischen sozialen Konventionen, eigenen Wünschen und dem Trubel des Erwachsen-werdens treffen sie immer wieder aufeinander, reden, streiten, haben Sex und trennen sich wieder.
Meine Leseerfahrung mit Normale Menschen war größtenteils positiv, aber einige Szenen haben mich emotional doch mehr mitgenommen, als erwartet. Ich hätte mir in diesem Zuge eine Triggerwarnung gewünscht, da diese aber nicht vorhanden ist, will ich meine eigene aussprechen. Seid euch aber bewusst, dass ich keinesfalls alle potentiell triggernden Inhalte in diesem Buch erkennen kann und nicht betroffen bin.
Zudem finde ich es wichtig zu erwähnen, dass im Buch keine Anführungszeichen für die wörtliche Rede verwendet werden. Es erscheint im ersten Moment komisch, und ich brauchte eine Weile bis ich Gesagtes von Gedachtem unterscheiden konnte, aber schlussendlich ist dadurch ein wirklich schöner Lesefluss entstanden und ich empfand eine sonderbare Harmonie zwischen den Gedanken und dem was die Charaktere dann wirklich gesagt haben. Es hat die Leseerfahrung intensiver gemacht. Allgemein fand ich den Schreibstil großartig, manchmal war er schmerzlich direkt, wenn Marianne ihre eigenen Gedanken und Gefühle analysiert hat, manchmal musste man zwischen den Zeilen lesen, wenn Connell sich nicht ausdrücken konnte.
Connell bekommt immer, was er will, und tut sich dann selbst leid, wenn das, was er will, ihn nicht glücklich macht.
S. 43
Connell und Marianne sind beide junge, intelligente Menschen, existieren aber zu Beginn des Buches in ihrer Schulzeit an den entgegengesetzten Enden des sozialen Spektrums: Connell ist beliebt, Marianne eine Außenseiterin. Mariannes Eltern besitzen viel Geld, Connells Mum geht bei Marianne putzen. Und dennoch – oder genau deswegen – führen sie eine Beziehung, die Connell geheim halten will. Warum genau kann er Marianne nicht so wirklich sagen, was eine seltsame Ironie in sich birgt, da Connell schriftlich sehr begabt ist. Besonders spannend war es für mich zu sehen, wie die beiden auf Annahmen und Gefühlen hin agiert haben, wie es ihre Beziehung beeinflusst hat, dass sie sich nur hinter verschlossenen Türen treffen durften und in der Öffentlichkeit ignorierten. Connells und Mariannes Beziehung ist ein wunderbares Beispiel für die vielen verschiedenen Wege der Kommunikation, wie Aktion und Reaktion, Annahme und Aussage unser Miteinander prägen und erschweren können. Auch wenn sie in der Öffentlichkeit ihrer Schule einander ignorierten, haben sie doch aufeinander reagiert und ließen ihre Handlungen davon beeinflussen. Ihre komplizierte Beziehung war wie ein Netz aus Fäden, dass sich durch ihren Alltag zog und an dem sie sich unterbewusst orientierten.
Manchmal hat er das Gefühl, dass er und Marianne wie Eiskunstläufer sind. Sie improvisieren ihre Gespräche so versiert und so perfekt synchron, dass es sie beide erstaunt. Sie wirft sich anmutig in die Luft, und jedes Mal, ohne zu wissen, wie er es tun wird, fängt er sie wieder auf.
S. 119
Marianne kommt aus einem zerrüttetem Elternhaus, ist schon früh Zielscheibe ihrer Familie geworden und hat sich aus Schutz sehr in sich selbst zurückgezogen. Ohne einen emotionalen Halt rutscht sie in die Tiefen ihres Kopfes ab, geht Bedürfnissen nach, die sie gleichzeitig anekeln und durchlebt eine sehr dunkle Periode in ihrem Leben. Diese Szenen zu lesen ist mir sehr schwer gefallen, da Marianne gar nicht das Bedürfnis zu haben schien, ihr Leben selbst zu führen. Es war für sie einfacher sich treiben zu lassen und andere den Ton angeben zu lassen. Solange sie oberflächlich alle Haken setzen konnte, war ihr ihr Innenleben scheinbar egal, was zu einigen ungesunden Beziehungen führte.
Und sie fühlt sich wie ein Nichts, eine Abwesenheit, die gewaltsam ausgefüllt werden muss. Es ist nicht so, dass sie das Gefühl mag, aber es befreit sie irgendwie.
S. 228
Connell ist jemand, der sich viel über das Bild, das andere von ihm haben definiert, er ist sich seiner sozio-ökonomischen Rolle sehr bewusst, kann damit aber nicht immer umgehen, besonders wenn die finanzielle Situation von ihm und seiner Mutter aufkommt. Oftmals hält er sich lieber aus Dingen raus, die ihm eigentlich wichtig erscheinen, nur um nicht zur Zielscheibe zu werden. Scheint Mariannes Entwicklung im Buch voranzuschreiten, scheint Connell zeitweise rückwärts zu gehen und mit dieser Veränderung muss er erstmal klarkommen. Dass er an der Uni nicht mehr so beliebt ist, wie noch zu Schulzeiten nimmt ihn mehr und länger mit, als er zugeben will, wobei die Prozesse seiner Schulzeit teilweise sehr verletzend für andere waren.
Marianne ist die Einzige, die diese Empfindungen in ihm auslöst, dieses seltsame dissoziative Gefühl, als würde er ertrinken, als existiere Zeit nicht mehr richtig.
S. 162
Die Geschichte spielt über mehrere Jahre, beginnt in der Schulzeit und zieht sich bis in die späten Unijahre. Man beobachtet und verfolgt die beiden Charaktere dabei, wie sie ihre Rolle in der Gesellschaft überdenken, im Familienkreis, bei den Freunden. Man begleitet sie, wenn sie sich entwickeln, schlechte und weniger schlechte Entscheidungen treffen, mit den Folgen leben müssen und manchmal doch nicht daraus lernen. Sally Rooney hat dabei so gekonnt mit ihrem Schreibstil die Situationen eingefangen, dass man nur ins Staunen geraten kann. Ich würde nicht sagen, dass Connell und Marianne eine einzigartige Beziehung haben, aber eine einzigartig gut dargestellte Beziehung. Die Momente zwischen ihnen, die ins Toxische abrutschen, die Momente, wo sie einander halt geben können sind so wunderbar treffend beschrieben worden. Das Buch folgt keinem großen Narrativ, wie ich das häufig in meiner bevorzugten Literatur habe, es gibt keine große Handlung, keinen richtigen Knackpunkt für die Figuren. Es ist eine Abbildung einer zutiefst aufwühlenden Zeit im Leben der jungen Menschen meiner Generation. Ich musste meine Erwartungshaltung an das Buch dahingehend anpassen, aber einmal darauf eingestellt, hat es mir sehr gut gefallen. Ich bin der Meinung, das man dennoch eine Entwicklung sehen kann, ein eventuelles Ziel auf das Connell und Marianne unbewusst hingearbeitet haben. Aber das Highlight dieses Buches ist für mich wirklich der Schreibstil, der so wunderbar präzise die Nuancen einer Beziehung zeigen kann.
Ist die Welt so ein böser Ort, dass sich Liebe nicht von den niedersten und missbräuchlichsten Formen von Gewalt unterscheiden lässt?
S. 239
Fazit
Normale Menschen scheint eine Abbildung unserer Zeit zu sein, die Beziehungen untersucht, Fragen stellt und die mentalen Tücken unserer Zeit aufdeckt. Connells und Mariannes Geschichte ist eine Erkenntnisreise durch das Erwachsen-werden und ich habe mich sehr damit identifizieren können.
übersetzt von: Zoë Beck • Verlag: Luchterhand • Seiten: 316 • Format: Gebunden mit Schutzumschlag, eBook, Hörbuch • Preis: 20,00€ (GB); 15,99€ (ePub); 18,95€ (Hörbuch Download) • Erscheinungstermin: 17. August 2020 • Link zur Verlagsseite
*Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares.
*Dieser Beitrag ist im Rahmen einer bezahlten Kooperation entstanden. Meine Meinung ist meine eigene.
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