Von diesem Buch hatte ich vor seinem Erscheinungstermin noch gar nichts gehört. Weder auf Bookstagram noch auf Booktube wurde das neue Buch von der Autorin der gehypten Juwel-Reihe besprochen, aber das englische Cover fand ich so wunderschön, dass ich neugierig war und schlussendlich sehr froh, als Harper Collins mir das deutsche Exemplar zum rezensieren zuschickte.
Allerdings machte ich den Fehler gezielt im Vorfeld nach Rezensionen zu suchen und was dabei ans Licht kam, war weniger schön. Die negativen Meinungen haben mich vom Lesen abgehalten, bis das Buch schließlich fast ein halbes Jahr angelesen auf meinem Nachttisch lag.
Zum Inhalt
Sera ist eine Cerulean, Teil eines magisches Volks, dass in einer Stadt in den Wolken eines Planeten lebt. Cerulean sind ausschließlich weiblich und beten Mutter Sonne an, die sie in allen Belangen leitet. Als die Hohepriesterin verkündet, dass die Stadt einen neuen Planeten suchen wird, muss eine Cerulean sich opfern, um die Stadt von dem aktuellen Planeten zu trennen und die Wahl fällt auf Sera. Nur läuft bei der Opferung offenbar etwas falsch, denn Sera stirbt nicht, sondern strandet auf dem Planeten, an den die Stadt gebunden ist und muss sich einem Volk gegenüber sehen, das Cerulean schon früher wegen ihres magischen Blutes ausgebeutet hat.
Das Buch wird aus vier Perspektiven erzählt, jeweils zwei Cerulean und zwei Planetenbewohner. Das hat mir am Ende wirklich das Buch gerettet, weil mich drei der Perspektiven aus diversen Gründen weniger interessiert haben. Sera und ihre beste Freundin Leela decken die Stadt in den Wolken ab, während die Zwillinge Leo und Agnes die Handlung in Kaolin zeigen. Die Abwechslung in der Erzählperspektive hat mich am lesen gehalten, weil ich die Cerulean um einiges spannender fand, als die Menschen auf dem Planeten. Das hatte auch zur Folge, dass der Spannungsbogen für mich merkwürdig gehüpft ist, sobald ein Perspektivenwechsel kam. Die Geschichte um Sera in Kaolin klang sehr generisch, es war irgendwie nichts Neues, weshalb das Volk der Cerulean meine Neugier geweckt hat. Es war so anders zu dem, was ich bisher gelesen habe und ich finde Glaubensgemeinschaften potentiell spannender, besonders wenn Figuren beginnen den Glauben in Frage zu stellen.
Die Cerulean
Die Idee hinter dem polygamen sapphischen Volk (sprich: mehr als zwei Ehepartner und alle sind weiblich, demzufolge lesbisch) fand ich toll, die Familien bestehen in einer Trias, wo jede Mutter eine Aufgabe zur Bildung des Kindes bekommt, man unterscheidet in Grünmutter, Orangemutter und Violetmutter. Cerulean zeichnen sich alle durch silberne Haut und blaue Haare aus, auch ihr Blut ist blau. Sie leben in einer strengen Glaubensgemeinschaft, deren Oberhaupt die Hohepriesterin ist, die einen direkten Draht zu Mutter Sonne hat, der Instanz, die die Cerulean leitet.
„… das Wohl unserer Stadt ist wichtiger als eine einzelne Cerulean, und der Wille von Mutter sonne ist wichtiger als alles andere.“
S. 274
Dieses utopische System verliert aber schnell an Reiz, als Stück für Stück dunkle Wahrheiten ans Licht kommen. Ich hatte gerade gegen Ende immer mehr den Eindruck einer Sekte, so abhängig scheinen die Cerulean von ihrer Führerin zu sein. Auch die Cerulean können sich nicht selbst befruchten, sondern empfangen durch eine Segnung der Hohepriesterin ihre Kinder, sie bekommen also nicht mit freiem Willen ihre Kinder. Die öffentliche Meinung über jemanden wird von der Hohepriesterin bestimmt, die ihre Worten Validität durch ihre Verbindung zu Mutter Sonne verleiht.
Pelago und Kaolin
Die Welt des Planeten scheint in der industriellen Revolution zu stecken, es gibt bereits Elektrizität, aber noch Droschken und patriarchale Gesellschaftszüge. (Eine Frau kann ohne männlich Einwilligung kein Geld von der Bank abheben.) Kaoliner zeichnen sich durch etwas dunklere Haut aus, das Klima ist sehr warm und die Landschaft schon seit einigen Jahren trocken und heruntergewirtschaftet. Die Beziehungen zu Pelago sind angespannt, es herrscht eine Menge Abneigung gegen die Inseln, die von einem weiblichen Triumvirat geführt werden und wo es magische Bewohner gibt, die Kaolin ihnen neidet. Kaolin ist außerdem diskriminierend, Homosexuelle und Ausländer werden am liebsten in Anstalten verschachert und Heirat ist die einzige Möglichkeit für eine Frau.
Der Vater von Leo und Agnes verdient sein Geld mit einem magischen Spektakel, er fängt Kreaturen wie Elfen und Arboreale, magische Bäume, und stellt sie aus, beziehungsweise bindet sie in einem Theaterstück ein. Mir kam gleich die Verbindung zum Kuriositätenkabinett von P.T. Barnum in den Sinn und zwar nicht auf die schöne The-Greatest-Showman-Art, sondern auf die historisch belegte hässliche Art. Die Figuren erkennen die moralische Verwerflichkeit diese Kabinetts natürlich bis zu einem gewissen Grad, aber die Idee hat mir dennoch nicht gefallen.
Queer-Baiting, Rassismus und Naivität
Nun zum harten Teil. Sera ist Teil einer lesbischen Gesellschaft, aber natürlich hat sie sich nicht ganz zugehörig gefühlt, sie konnte nie dieselben Gefühle für Frauen aufbringen, wie die anderen Cerulean. Auch sonst scheint sie nicht in die Gesellschaft zu passen, ihr gefällt keine der Jobmöglichkeiten die eine Cerulean hat und würde am liebsten weiter auf Gebäude klettern und die Sterne angucken. Als sie durch ungeklärte Umstände in Kaolin strandet, ist dort alles anders und sie findet einen Teil von sich, der plötzlich alles besser macht: Sera ist homosexuell. Sie steht auf Männer. Dabei lernt sie nicht gerade nette Männer kennen, es ist also eine rein körperliche Anziehung die auch sofort einsetzt. Ich verstehe, warum queere Leser sich verarscht fühlen, das habe ich mich auch, obwohl ich vorbereitet war. Das abstruse an der Situation ist, dass Sera ein Coming Out hat und das liest sich bei heterosexueller Orientierung wie ein schlechter Witz.
„Es fühlte sich an, als hätte sie ein fehlendes Puzzleteil gefunden und könnte jetzt klar und deutlich sehen, wer sie wirklich war.“
S. 207
Ich habe gelesen, dass einige queere Leser Hoffnung auf eine asexuelle oder aromantische Figur hatten, welche natürlich zerstört wurden. Zwar scheint sich noch keine Liebesgeschichte im ersten Teil der Dilogie zu zeigen, sie scheint aber allein durch Seras nun bekannte sexuelle Orientierung gut möglich zu sein. Es gibt im Buch eine weitere homosexuelle Figur, die man auf leichte Weise zum Love Interest hätte machen können, ohne die queeren Leser vor den Kopf zu stoßen, weshalb ich nicht verstehe, warum die Autorin es anders gemacht hat. Sie hatte alle Zutaten da, mischt sie aber völlig falsch zusammen, sozusagen.
„Auf jeden Fall war es besser, sich zu Männern hingezogen zu fühlen, als zu glauben, gar keine Liebe empfinden zu können.“
S. 425
Den Rassismus hätte ich wohl nicht gesehen, wenn ich nicht darauf vorbereitet worden wäre. Es sitzt einem quer im Hals, wenn man sich auf die Tatsache besinnt und feststellt, dass das böse Volk, das Ausbeutet und Unterdrückt und mehr oder weniger Foltert, die mit der dunklen Hautfarbe sind und das reine, arglose Volk, das gerettet und beschützt werden muss, die mit der hellen Haut sind: Cerulean mit ihrer silbernen Haut werden als die Guten vorgestellt und Kaoliner als die Bösen. Ich stelle diese Schwarz-Weiß-Denken gegen Ende des Buch zwar allgemein in Frage, weil man merkt, dass alle Völker irgendwo Dreck am Stecken haben, aber das macht die ursprüngliche Darstellung auch nicht besser. Ich kann euch nur empfehlen, die Rezensionen bei Goodreads zu dem Buch zu lesen, da wird nochmal sehr schön alles Problematische beleuchtet.
Das Buch hat mich thematisch und durch diverse Problematiken schon nicht komplett überzeugt, Sera war ein weiterer Punkt. Sie ist die typische 0815-Heldin, die nicht ins System passt, weil sie so anders ist. Die Cerulean wissen darüber Bescheid, dass sie schon früher für ihr magisches Blut ausgebeutet wurden. Deshalb verstehe ich absolut nicht, weshalb Sera den Menschen gegenüber immer wieder betont, dass ihr Blut magisch ist. Sie benutzt es wie ein Mantra und als die Menschen sie verstehen können, stellt sie es auch nicht ein. Es ist als wenn sie mit offenen Armen zu den Menschen hinläuft – obwohl sie weiß wie gierig sie sein können – und sagt: Hi, ich bin Sera, eine Cerulean und mein Blut ist magisch, aber bitte beutet mich deswegen nicht aus.
Dinge, die ich noch erwähnenswert finde: Im Buch wird wortwörtlich über eine Figur gesagt „Du bist nicht wie die anderen Mädchen“ und die Figur bestätigt das. Nach Holly Bournes Büchern verstehe ich echt nicht, wie das ein Verlag noch durchgehen lassen kann. Es gibt ein paar sehr offensichtliche Plotlöcher, beispielsweise errötet eine Cerulean, dabei sollte das bei blauem Blut nicht passieren, weil das Erröten ja durch rotes Blut entsteht. Der Weltenbau der Cerulean ist spannend, aber manchmal wirkt es auch sehr unoriginell, beispielsweise gibt es einen Moment wie in E.T. Der Schreibstil war einen Teil der Zeit schön und malerisch, dann gab es aber wieder sehr abgehackte Sätze, die wirkten als wären sie nur da, um das Nötigste an Information zu geben, was mich aus dem Lesefluss riss. Das Buch endet nicht auf einen Cliffhanger, was ich zur Abwechslung mal sehr angenehm finde.
Fazit
Amy Ewing hat eine faszinierende Welt und interessante Figuren geschaffen, scheint aber alle Grundsätze, die in YA-Romanen der letzten Jahre etabliert wurden, über Bord zu werfen und im problematischen YA hängen geblieben zu sein.
Kristallblau: magisches Blut
übersetzt von: Andrea Fischer・Verlag: Dragonfly・Seiten: 447・Format: Gebunden mit Schutzumschlag, eBook・Preis: 18,00€ (GB); 13,99€ (ePub)・Erscheinungstermin: 19. August 2019・Link zur Verlagsseite
*Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares.
Nadine meint
Danke dir für deine ausführliche Rezi und die negativen Punkte klingen in der tat fürchterlich.
Ich hatte das Buch in der Stadtbib ausgeliehen, bin aber glaube nicht über die ersten 10-20 Seiten hinausgekommen. Ich fand den Weltenbau so abstrakt und nicht gerade gut als fremder Leser eingeführt, sodass ich nur noch genervt war und jetzt bin ich froh, es nicht gelesen zu haben.
Friederike meint
Liebe Nadine,
die ersten Seiten waren wirklich anstrengend, ich habe da auch zweimal ansetzen müssen, ehe es geklappt hat. An sich finde ich es etwas Schade, eben weil der Weltenbau so abstrakt war, das liest man recht selten und das fand ich eigentlich ganz schön. Aber die negativen Punkte überwiegen einfach.
Vielen Dank für deinen Kommentar, es freut mich, dass ich nicht die Einzige bin.
Alles Liebe
Friederike.